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Universität Hannover      Blockseminar am 13./14.02.2004      WiSe 2003/04
Institut für Soziologie und Sozialpsychologie

Seminar: "Psychosoziale Symbole als Dimension gesellschaftlicher Macht- und Statuswandlungen"
DozentIn: Schahrsad Amiri, Michael Fischer, Prof. Dr. Dawud Gholamasad
Referierende: Anne-Kathrein Garbe, Stefan Matschke, Felix Tietje



Die fünfdimensionale Welt der Menschen


Norbert Elias' Symboltheorie
als evolutionsorientierte Theorie der Symbole

Textgrundlage: Norbert Elias: Symboltheorie, Frankfurt am Main 2001

Inhaltsübersicht (Leitfragen):

1) Was begreift Elias als spezifisch für "Symbole", im Unterschied zu den Lautsignalen, Reflexen etc. nicht-menschlicher Lebewesen? Was versteht er unter "Symbolemanzipation"?

2) Wie ist für Elias das Verhältnis zwischen außermenschlicher Natur, menschlicher Natur und sozialen Prozessen beschaffen? Welchen Evolutionsbegriff legt er zugrunde?

3) In welchem Verhältnis stehen der "Symboltheorie" zufolge Wandlungen der symbolischen Dimension und Wandlungen menschlicher Beziehungen?

4) Welche methodologischen Konsequenzen ergeben sich aus Elias' symboltheoretischem Ansatz?

5) Literaturangaben
 

 

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Was begreift Elias als spezifisch für "Symbole", im Unterschied zu den Lautsignalen, Reflexen etc. nicht-menschlicher Lebewesen? Was versteht er unter "Symbolemanzipation"?

  • Bei den Menschen ist die Fähigkeit zum bzw. die Angewiesenheit auf das Erlernen und Ver-wenden von Symbolen angeboren, aber nicht die Bedeutung der Symbole.
    Im Unterschied zu den Tieren hat sich bei den Menschen die Balance zwischen den erlernten und nicht erlernten Verhaltens-, Kommunikations- und Empfindungsmustern zu Gunsten des Lernens verschoben (vgl. S. 65).

  • Symbole repräsentieren zum einen eine bestimmte Erfahrungsweise der Welt, zum anderen stellen sie einen Erlebensraum eigener Art dar (vgl. S. 8 und 190f).

  • Symbole als fünfte Dimension: Sie existieren relativ unabhängig von räumlichen, zeitlichen und körperlichen Zuständen (vgl. S. 77 und 193).

  • Elias spricht Symbolen einen Werkzeugcharakter zu. Es lassen sich drei Funktionen unter-scheiden: Orientierungsfunktion, Kommunikationsfunktion, Verhaltens- und Empfindungs-steuerungsfunktion (vgl. S. 191).

  • Symbole verändern sich, ohne dass sich die biologische Gattung wandelt.
    Aufgrund der Angewiesenheit auf das Erlernen von Symbolen und deren Bedeutungen ergibt sich, dass sich Symbolfigurationen (denken, sprechen, wissen) gruppenspezifisch anstatt art-spezifisch wandeln (vgl. S. 41).


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Wie ist für Elias das Verhältnis zwischen außermenschlicher Natur, menschlicher Natur und sozialen Prozessen beschaffen? Welchen Evolutionsbegriff legt er zugrunde?

  • Elias plädiert für die strikte begriffliche Unterscheidung zwischen dem Begriff der "Entwicklung" und dem Evolutionsbegriff (vgl. S. 40ff.):
    Der Begriff "Evolution" bezeichnet demnach einen gattungsspezifischen Wandel, wohingegen der Begriff der "Entwicklung" einen gesellschafts- oder gruppenspezifischen Wandel beschreibt. Beide Prozesse sind angelegt auf die Übermittlung von Überlebenstechniken von Generation zu Generation, das Wie und Was ist jedoch unterschiedlich.

  • Der Entwicklungsbegriff wird von Elias auf eine Wandlung der Kontrollmöglichkeiten auf drei Ebenen bezogen: Kontrolle der außermenschlichen Natur, Kontrolle der menschlichen Natur und Kontrolle der sozialen Prozesse ("Triade der Grundkontrollen").

  • Die möglichen Zu- oder Abnahmen der Kontrollchancen auf diesen drei Ebenen stehen in interdependentem Zusammenhang, bspw. kann eine Kontrolle sozialer Prozesse die Kontrolle von Prozessen der außermenschlichen Natur voraussetzen (vgl. S. 197).
    Ein höheres Maß an wirklichkeitskongruentem Wissen erhöht die Chancen zur Kontrolle der Prozesse auf den drei Ebenen.

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In welchem Verhältnis stehen der "Symboltheorie" zufolge Wandlungen der symbolischen Dimension und Wandlungen menschlicher Beziehungen?

  • Symbol- bzw. Sprachstruktur und Gesellschaftsstruktur sind interdependent (vgl. S.108).
    Losgelöst von genetisch fixierten Kommunikationsmitteln, also befähigt variable Lautmuster zu erschaffen bzw. zu erlernen, ist es den Menschen möglich, ihre Verhaltens-, Empfindungs-, Kommunikations- und Orientierungsmuster in einem Tempo zu variieren, das im Tierreich seinesgleichen sucht. Erst durch die symbolischen, distanzierten Repräsentationen wird gesellschaftlicher Wandel (vom Reich zur Nation etc.) möglich, ohne dass sich die Gattung Mensch verändert (vgl. S. 52).

  • Aufgrund der Notwendigkeit des Erlernens von Symbolen und ihren Bedeutungen werden soziale Tatbestände individuell angeeignet, und so die Bedingung der Möglichkeit sozialer Entwicklung geschaffen (vgl. S. 79 und 196ff.).

  • Es gibt keine natürliche Notwendigkeit für die Entwicklung und Verwendung bestimmter Symbole, aber dafür um so öfter eine gesellschaftliche Notwendigkeit (vgl. S. 102f.).

  • Das Zusammenleben in Gruppen stellt gewisse Anforderungen an die Verhaltens- und Empfindenssteuerung der Menschen. Diese Zwänge spiegeln sich in den Symbolen, die Menschen benutzen, um über ihre Beziehungen zu kommunizieren (Fürwörterserie, vgl. S. 107).

  • Der herrschende Sprachgebrauch kann zu Widerständen gegen die Entwicklung wirklichkeitskongruenteren Wissens führen. Der an die vorherrschenden Codes geknüpfte Wahrnehmungs- und Verhaltenshabitus behindert mitunter soziale Entwicklungen auf gravierende Weise (vgl. S. 36f., 184f., 196f.).

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Literaturangaben

Welche methodologischen Konsequenzen ergeben sich aus Elias' symboltheoretischem Ansatz?

  • Als Konsequenz ergibt sich, dass die Bedingung der Möglichkeit zu einer bewussteren Lenkung von sozialen Prozessen an die bewusstere (distanziertere) Verwendung von Symbolen geknüpft ist (vgl. S. 225f.).

  • Ebenso empfiehlt sich zur Integration der bereits vorhandenen Wissensfragmente in eine Einheitstheorie (vgl. S. 204ff.) über das menschliche Zusammenleben das Anstreben einer Interdisziplinarität der "Menschenwissenschaften". Elias plädiert also für eine notwendige Synthese aus Biologie, Psychologie, Soziologie, Sprachwissenschaften, Geschichtswissenschaften, etc. (vgl. S. 33ff.).

  • Soziale Prozesse sind weder auf "Kultur" noch auf "Natur" zu reduzieren (die scheinbare Dichotomie zwischen diesen beiden Begriffen ist eine Täuschung), vielmehr müssen sie in ihrem gesamtgesellschaftlichen Funktionszusammenhang betrachtet werden. Ebenso ist als Primat sozialer Prozesse weder "das Individuum" noch "die Gesellschaft" anzusehen (Ursache-Wirkungs-Denkschemata müssen verworfen werden) (vgl. S. 178).

  • Die Wissens- und Symboltheorie nach Elias zeigt einen Weg bzw. einen möglichen Entwicklungsprozess auf, den die Menschheit zur weiteren Zivilisierung gehen könnte - zeigt aber auch zugleich die Hindernisse, die dem entgegenwirken: ein unangemessener Denk- und Sprechhabitus der Menschen verhindert gesellschaftliche und individuelle Zivilisierung.

  •    Beispiele für unangemessene Vorstellungen:
    • Homo-clausus-Menschenbilder / Homo-clausus-Selbstbilder (S. 181)
    • wenig wirklichkeitskongruente Vernunft- und Geistbegriffe (S. 106)
    • Denken in absoluten Gegensätzen, wo keine sind (S. 196)
    • Suchen nach absoluten Anfängen (S. 156 und S. 36)
    • Denken in Ursache-Wirkungs-Kategorien
    • Subjekt-Objekt-Trennung

    Derzeit ist das "Wissen" über gesellschaftliche Prozesse noch oft Phantasiewissen, von Idealen durchsetzt. Dies führt zu unangemessenen Handlungen und politischen Fehlplanungen. Eine höhere Wirklichkeitskongruenz der Symbole könnte ein ideologieärmeres und somit zivilisierteres Zusammenleben der Menschen ermöglichen, da mit der realistischeren Einschätzung von sozialen Prozessen auch die Planbarkeit bzw. die Chance zu einer bewussteren Lenkung steigt (vgl. S. 168).

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Literaturangaben:

Norbert Elias: Symboltheorie, Frankfurt am Main 2001

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http://www.feliz.de/html/symbol.htm