Markttricks


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     Ein Märchen zum Thema Konsum

Es war einmal ein großer dicker Kaufmann. Der hieß Bill und er hatte ziemlich viel Geld angehäuft. Das kam so: Zuerst hatte er angefangen, zur Schule zu gehen, wie alle anderen Kinder auch. Doch, genau wie es auch bei allen anderen Kindern so war, machte ihm die Schule alsbald keinen Spaß mehr, und er begann, sich zu langweilen. "Mist", dachte er eines Tages während einer besonders doofen Mathestunde, "ich habe keinen Bock mehr" - sprachs und ging fortan einfach nicht mehr zu Schule hin. Zusammen mit seinem Schulfreund Paul, der auch keine Lust mehr hatte, lernte Bill, Computer zu programmieren und gründete seine erste Firma "Metacortex". Sie entwickelten ein System zur Messung von Gehirnströmen. Das verkauften sie an die Medizinische Hochschule Hannover, was ihnen 20.000 Mark einbrachte. Damals wurde nämlich noch in Mark gezahlt. Später kaufte er dann mit seinem vielen Geld einen deutschen Pharmakonzern, und durch einen Chemieunfall, den er dann geschickt vertuschen konnte, sollte er dann zu dem neuen Namen "Morphium" kommen. Doch das ist eine andere Geschichte, die wollen wir ein anderes Mal erzählen.


Seinem Freund Paul hingegen, dem erging es gar nicht so gut. Denn nachdem sie das Gehirnzähleprogramm nach Hannover verkauft hatten, hatte Bill, der jetzt Morphium hieß, sich ohne zu Zaudern von Paul getrennt, alle Patentbriefe mitgenommen und sein Monopol allein aufgebaut - denn sonst wäre es ja kein richtiges Monopol. Paul hingegen war arm geblieben, Vater und Mutter waren gestorben, und Paul hatte nur noch sein Kämmerchen, um darin zu wohnen und ein Bettchen, um darin zu schlafen und einen Computer um ein wenig zu surfen. Letztendlich hatte er alles andere verkaufen müssen, bis auf die Kleider die er am Leibe trug. "Mist", dachte Paul da, "der Morphium hat mich reingelegt.... Aber ich werde es ihm zeigen, ich werde es allen zeigen! Ab sofort nenne ich mich Nero, und ich werde schon bald genauso viel Macht haben, wie der römische Imperator!".

Eines Tages kam es nun, dass Nero durch die Georgstraße schlurfte, um etwas Geld zusammenzuschnorren. Da begegnete ihm eine junge Frau. Nero wollte sie gerade eben ansprechen, um ein paar Almosen von ihr zu erbitten, doch bevor er seine Frage stellen konnte, hatte die Frau ihn schon an die nächste Hauswand gedrückt und stand infolgedessen so dicht bei ihm, dass Nero ihr Parfüm in die Nase stieg. "Nanu?" dachte er, "die ist aber stürmisch". Die Frau aber sprach direkt in sein Ohr: "Hallo Nero." "Woher weißt Du diesen Namen?", fragte Nero erstaunt und auch ein wenig ängstlich, weil er ja nicht wusste, was nun geschehen sollte. "Ich weiß eine Menge über Dich." sprach die Frau. "Wer bist Du?", fragte Nero. "Mein Name ist Triniton." antwortete die Frau. "Triniton? Das ist doch aber so ein Farbfernsehgerät oder?" "Bitte hör zu.", sprach Triniton, "Und sei nicht so laut, hier sind überall Agenten. Wenn Agent Schmitz uns hört und merkt, dass die Verschwörung bekannt ist, dann wird er sehr böse werden. Sie wollen nämlich nicht, dass die Konsumenten aufgeklärt werden." "Aufgeklärt?", fragte Nero. "Ich weiß, wieso Du hier bist, Nero.", antwortete Triniton. "Ich weiß, was Du machst, ich weiß wieso Du alleine wohnst und wieso Du Nacht für Nacht vor Deinem Computer sitzt. Du suchst nach der Antwort. Ich weiß es, ich war früher selber auf der Suche. Als ich sie gefunden hatte, fing mein neues Leben an. Es ist die eine Frage, die uns Kapitalisten keine Ruhe lässt, die Frage, die dich hergeführt hat. Du kennst diese Frage genau wie ich..."

"Was sind die Markttricks?!", platzte Nero heraus, der mittlerweile aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam und schon dachte, dass er vielleicht einen seltsamen Traum hatte. "Genau.", antwortete Triniton, "Was sind die Markttricks? Die Antwort ist irgendwo da draußen Nero. In den Werbetafeln der Einkaufsstraße. In den Neonschriftzügen am Kröpcke. In den Stapeln von Postwurfsendungen und Wochenblättern, die Woche für Woche in Deinem Treppenhaus rumliegen, und die bereits Altpapier sind, sobald sie aus der Druckerei kommen." "Kannst Du mir die Antwort sagen?", fragte Nero, der plötzlich die nicht unbegründete Hoffnung verspürte, endlich aus seiner ärmlichen Existenz herauszukommen. "Nein", antwortete Triniton, "da wäre ich ja schön blöd, wenn ich so täte. Ich will Deinen Geist befreien, Nero. Aber ich kann Dir nur die Tür zeigen, durchgehen musst Du ganz allein." "Welche Tür?", fragte Nero verwirrt. "Finde sie", antwortete Triniton. "Folge dem braunen Hähnchen." - sprachs, und verschwand. Jetzt war Nero völlig konfus. Tür? Braunes Hähnchen? Planlos stiefelte er weiter Richtung Steintor, und rätselte, was Triniton bloß gemeint haben könnte. Und wie sollte er bloß die Markttricks herausbekommen? "Ach herrje", jammerte Nero, "so wird nie ein guter Kapitalist aus mir, ich werde Morphium nie besiegen, und ich werde auf der Gesellschaftsleiter auch nicht nur eine einzige Sprosse nach oben steigen!".


Da stieg ihm erneut ein Geruch in die Nase, Frittierfett und Ketchup, und Nero bemerkte seinen Hunger wieder. Er entdeckte die Imbissbude, von der der Geruch ausströmte und plötzlich sah er sie: braune Grillhähnchen, die dort aufgespießt auf der Stange im Ofen rotierten. Ein Schauer lief ihm über den Rücken und er bekam eine Hähnchenhaut. Das braune Hähnchen, von dem Triniton gesprochen hatte, er hatte es gefunden! Und es kam noch mysteriöser: Ihm lief der Speichel im Mund zusammen, obwohl er ja schon seit einer Ewigkeit Vegetarier war und demzufolge eigentlich nicht hätte Appetit bekommen dürfen.

Und da überkam ihn mit einem Male die Erleuchtung: Die Markttricks! Na klar! Konsum lautete der Zauber und die animalischen Triebe der Menschen waren ihm seine Diener. Die Neugier ist die Macht und die Vernunft im Kopf wird ausgelacht. Die Lust steuert so oft das Verhalten, und als Kapitalist erzeugt man Vertrauen, wenn man Lüste befriedigt, man wird zum Freund der Menschen, man verkauft ihnen das Gefühl, Spaß am Leben zu haben, eine Riesenparty. Und die Menschen - auch die vernünftigsten unter ihnen - sie haben Angst, sie glauben, etwas zu versäumen, wenn sie nicht dabei sind, die Medien reden ihnen die Angst ein, nicht dazuzugehören und plötzlich zum Aussenseiter zu werden, wenn sie nicht mitmachen bei der Party. Mach dir heute keine Sorgen, kauf dir jetzt Dein Ticket ins Glück mit diesem Produkt, Deine Seele ist flüchtig, doch unser Produkt kannst Du anfassen und wir geben es Dir - für bare Münze selbstverständlich. Ja, das ist der Rausch den Du willst, es ist neu, es ist geil und die Versuchung ist groß! Der Weg kurz und bequem nur du und ich und das System!

Ja, mit einem Mal durchschaute Nero das ganze Spiel des Konsums. Und er kaufte sich eines von den ollen braunen Brathähnchen und biss herzhaft hinein, dass das Fett nur so spritzte! "Ich bin der Auserwählte!", triumphierte er, "Im Namen der Normalverbraucher, ich, Nero, werde ein eigenes Monopol haben, schon bald! Und dann kann Morphium mich mal! Selbst ist der Mann, ich gegen den Rest der Welt! Hach, das Konkurrenzprinzip ist doch die größte Erfindung der Menschheit!"

Und er ging dahin und baute eine Hühnerfarm auf und züchtete Gummiadler. Und dann programmierte er ein Brennprogramm namens "Nero", um die Hähnchen perfekt braun zu grillen.
Und wenn er nicht gestorben ist, dann beutet er noch heute aus.
Was ja leider sehr wahrscheinlich ist, heutzutage.


Felix Tietje - 2006
Gesendet am 13. Januar 2006 und 9. März 2007 auf Radio Flora.
Dank an die Fantastischen Vier und Freakatronic für ein bisschen Inspiration.

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